Forschungsgebiete
Die Forschungsgebiete der Arbeitsgruppe „Batterien – Kalorimetrie und Sicherheit“ fokussieren sich auf die Untersuchung der Sicherheit von Lithium-Ionen-Zellen sowie Post-Lithium-Zellen. Insbesondere durch kalorimetrische Methoden werden vielfältige Aspekte der Sicherheit in Batteriezellen eingehend betrachtet.
Ausgehend von der eigenen Herstellung kleiner Zellen werden die thermischen Eigenschaften dieser untersucht. Im Fokus der Forschung liegen insbesondere umfassende Alterungstest, die sowohl die kalendarische als auch die zyklische Alterung umfassen. Mithilfe der Kalorimeter werden detaillierte Informationen zur Wärmeerzeugung bei normalen und Missbrauchsszenarien durchgeführt. Zusätzlich wird die thermische Propagation auf Zell- und Packebene untersucht. Die Forschungsgebiete werden ergänzt durch die elektrochemische Impedanzspektroskopie und Modellierungsansätze.
Zellbau
Bau kleiner Zellen und Untersuchung der thermischen Eigenschaften von Zellkomponenten
Mit Hilfe einer Presse, die sich in einer Glovebox unter inerter Argonatmosphäre befindet, werden Knopfzellen gebaut. Dabei handelt es sich zumeist um Halbzellen, in denen Li-Metall als eine Elektrode und das zu testende Material als andere Elektrode eingesetzt wird. Beide werden getrennt durch einen Glasfaserseparator, der mit Elektrolyt getränkt ist. Zuvor werden die thermischen Eigenschaften der einzelnen Zellkomponenten mit Hilfe des C80 3D-Calvet-Kalorimeters oder anderen thermophysikalischer Methoden, die in der Gruppe Thermophysik und Thermodynamik zur Verfügung stehen, bestimmt. Die fertigen Knopfzellen werden zunächst in Temperaturkammern bei konstanter Temperatur formiert, d.h. bei kleinen Stromraten zykliert, damit sich die SEI-(Solid Electrolyte Interface)-Schicht als Schutz der Anode ausbilden kann, die für die Lebensdauer der Zelle von entscheidender Bedeutung ist. Anschließend erfolgt die elektrochemische Charakterisierung.
Alterungstests
Auf Zellebene werden umfassende Alterungstests durchgeführt. Zuerst werden frische Zellen bei verschiedenen Temperaturen und Ladezuständen in Temperaturkammern ausgelagert und anschließend in festgelegten Zeitabständen charakterisiert, um den Einfluss dieser Lagerung (kalendarische Alterung) auf die Zellperformance zu erforschen. Zum zweiten werden gleichartige Zellen bei verschiedenen Lade-/Entladeraten bzw. mit verschiedenen Lastprofilen (Vollzyklen, Teilzyklen, Fahrzyklen in Temperaturkammern gealtert (zyklische Alterung) und ebenfalls zu bestimmten Zeiten umfassend elektrochemisch und thermisch charakterisiert. Zusätzlich können frische Zellen, gealterte Zellen und Zellen nach einem Thermal Runaway in einer Glovebox geöffnet und die Komponenten und Aktivmaterialien im Rahmen einer Post-Mortem-Analyse mit physikalisch-chemischen und werkstoffwissenschaftlichen Analysemethoden eingehend charakterisiert werden.
Wärmeerzeugung bei Normalgebrauch
Die thermische Impedanz der Zellen spielt eine wichtige Rolle, da diese Größe die Wärmeflüsse und damit auch die Wärme- und Temperaturverteilung in einer einzelnen Zelle und auch in einem kompletten Batteriesystem beeinflusst. Diese wird bestimmt durch die thermophysikalischen Transportgrößen wie Wärme- und Temperaturleitfähigkeit, sowie von der Wärmekapazität. Zusätzlich sind thermische Übergangswiderstände eine wichtige Einflussgröße für das räumliche und zeitliche Verhalten von Temperaturfeldern in der Zelle, die auch wiederum beeinflusst werden von Alterungsvorgängen in der einzelnen Zelle. Durch Kalorimetrie werden die auftretenden Wärmeeffekte quantitativ sehr genau zu bestimmt und mit dem Alterungszustand der Zellen und den Elektrolytreaktionen in Zusammenhang zu gebracht.
Mit Hilfe der Accelerating Rate Calorimeter, sowie elektrochemischer Impedanzspektroskopie (EIS), Stromunterbrechungsmethoden (CIT) und potentiometrischer Entropiemessung können für größere Pouch- und prismatische Automotive-Zellen folgende elektrochemischen, thermodynamischen und thermischen Parameter gemessen werden:
- Kapazität
- Zykleneffizienz
- Spezifische Wärmekapazität
- Wärmeleitfähigkeit
- Wärmeabgabe
- Orts-/zeitaufgelöste Temperatur-/Wärmeentwicklung
- Erzeugte Wärme (Irreversible/Reversible Anteile)
Durch die Aufteilung der erzeugten Wärme in reversible Anteile, die mit der Entropie der Zellreaktion, und irreversible Anteile, die mit dem Innenwiderstand der Zelle zusammenhängen, wird die Charakterisierung des kalendarischen und des zyklischen Alterungsverhaltens ermöglicht.
Wärme-, Gas- und Druckerzeugung bei elektrischem, mechanischem, thermischem Missbrauch
In den Accelerating Rate Calorimetern werden auch Untersuchungen zum nicht-regulären Gebrauch und bei simulierten Unfällen durchgeführt. Exotherme, außer Kontrolle geratene Reaktionen, die zum Thermal Runaway führen, können für komplette Zellen quantitativ gemessen und analysiert werden. Somit lässt sich auch die Veränderung des Gefahrenpotentials der Zellen mit steigendem Alterungsgrad quantitativ bewerten. Folgende Sicherheitstests sind möglich:
a) Elektrische Tests: interner/externer Kurzschluss, Überladen, Tiefentladen
In der ARC kann der Temperaturanstieg durch Anlegen eines externen Kurzschlusses oder während eines internen Kurzschlusses gemessen werden, der beispielsweise durch einen Produktionsfehler verursacht werden kann. Die Zelle kann auch über- oder überladen werden, was zu unterschiedlichen Fehlermodi führt.
b) Mechanische Tests: Nageltest, Deformationstest
Ein durch einen Schrittmotor gesteuertes System ermöglicht es, die Zelle mit einem spitzen Nagel zu durchstoßen oder mit einem stumpfen Versuchskörper zu deformieren. Der Vorteil des Tests im Kalorimeter gegenüber einem Test in einer üblichen Prüfvorrichtung besteht darin, dass es sich nicht nur um einen Pass/Fail-Test zur Qualifizierung von Zellen handelt, sondern dabei auch wertvolle quantitative Daten ermittelt werden.
c) Thermische Tests: Rampenheiztest, Heat-Wait-Seek-Test
Für den Rampenheiztest werden die Zellen mit einer konstanten Heizrate bis zum Thermal Runaway aufgeheizt. Detailliertere Informationen liefert der Heat-Wait-Seek (Heizen-Warten-Suchen, HWS)-Test. Dieser beginnt mit dem Aufheizen der Probe in kleinen Schritten und am Ende jedes Schrittes "wartet" das System, um zu sehen, ob die Zelle Wärme erzeugt, die zu einem messbaren Temperaturanstieg führt ("Suchen"-Schritt). Sobald eine Selbsterwärmung der Zelle erkannt wird, schaltet das System in den quasiadiabatischen Modus, so dass die Temperatur des Kalorimeters unmittelbar der Oberflächentemperatur der Zelle folgt (es wird keine Wärme mehr mit der Umgebung ausgetauscht). Somit heizt sich die Zelle selbstständig immer mehr auf, bis es zum Thermal Runaway kommt, oder die Reaktanden durch die exothermen Reaktionen vollständig aufgebraucht sind, so dass die Reaktion zum Erliegen kommt und sich der nächste Heizschritt anschließt.
Nur das Accelerating Rate Calorimeter kann den Thermal Runaway und alle vorher ablaufenden exothermen Reaktionen nachbilden und hilft so die stufenweise ablaufenden Einzelprozesse, wie die SEI-Zersetzung, die Gasbildung und die Folgereaktionen beim Thermal Runaway zu analysieren und deren Aktivierungsenergien zu bestimmen.
Der Außendruck kann unter Verwendung eines gasdichten Zylinders in der Kalorimeterkammer gemessen werden, um das Öffnen (Venting) der Zellen zu erfassen. Für Innendruckmessungen wird eine mit einer Druckmessdose verbundene Kapillare direkt in die Zelle eingeführt und der Druck während des Tests aufgezeichnet.
Vergleich der Temperatur-Zeit-Diagramme für 18650-Zellen mit verschiedenen Kathodenmaterialien während des HWS-Tests in einem ARC. | Röntgentomographiebild einer 18650-Zelle, das die Position der Kapillare und die Druck-Temperatur-Kurven für die externe und interne Druckmessung während des thermischen Missbrauchstests in einem ARC zeigt |
Als Resultat der Untersuchungen werden quantitative und systemrelevante Daten für die Temperatur-, Wärme- und Druckentwicklung der LIB bereitgestellt. Diese Daten werden dann von Forschungs- und Industriepartnern für die Auslegung thermischer Management- und Sicherheits-Systeme verwendet.
Tests zur thermischen Propagation auf kleinem Packlevel
Für eine umfassende Betrachtung der Sicherheitsaspekte in Lithium-Ionen-Zellen ist eine Untersuchung auf Packebene notwendig. Mit den am IAM-AWP verfügbaren Kalorimetern besteht die Möglichkeit auch das thermische Verhalten in kleinen Packs zu untersuchen. Dabei können insbesondere zusätzliche Bauteile, wie beispielsweise Hitzeschilder hinsichtlich ihres Einflusses auf die thermische Propagation untersucht werden. Diese sollen idealerweise umgebende Zellen vor einem Thermal-Runaway schützen oder dessen Eintritt zumindest um 5 bis 10 Minuten verzögern.
Modellierung
Am IAM-AWP werden verschiedene Modellierungsansätze verfolgt. Zum einen werden die Komponenten von Batterien und deren Wechselwirkungen in thermodynamischen Modellen auf Materialebene modelliert, zum anderen wird das Zellverhalten elektrochemisch und thermisch abgebildet.
a) Thermodynamische Modellierung
Bei der thermodynamischen Modellierung mit der CALPHAD-Methode (CAlculation of PHAse Diagrams) lassen sich durch mathematische Modellierung der Gibbs-Energien sowohl Zustandsdiagramme, als auch thermodynamische Größen berechnen. Die große Stärke der CALPHAD-Methode ist, dass sich diese zur Berechnung von Mehrstoffsystemen eignet.
In der Modellierung werden die Gibbs-Energien einzelner thermodynamischer Phasen in Abhängigkeit von Zustandsgrößen wie Temperatur, Druck und Stoffkonzentration berechnet. Diese Modellierung basiert dabei auf thermodynamischen Daten, wie Wärmekapazitäten, Mischungsenthalpien, Siede-, Schmelzenthalpien und Phasengrenzen. Diese Daten können aus der Literatur extrahiert werden, jedoch können diese am Institut mit kalorimetrischen Methoden (Differential Scanning Calorimetry DSC, Tian-Calvet-Kalorimeter) bestimmt werden.
Im Rahmen der Batterieforschung erstellen wir aus Literaturdaten und selbst erhobenen thermodynamischen Daten Datenbanken, in denen sich die Eigenschaften des Elektrolyten in Abhängigkeit, beispielsweise der Temperatur darstellen und berechnen lässt. Damit lassen sich die vorhandenen Phasen oder die Eigenschaften, wie Wärmekapazität bei einer bestimmten Temperatur berechnen. Dies ermöglicht Rückschlüsse auf die Sicherheit oder den möglichen Temperaturbereich im Betrieb der Batterie. Weiter können so auch Recyclingprozesse, bei denen der Elektrolyt entfernt werden muss, im Vorhinein detailliert berechnet werden.
Zur thermodynamischen Modellierung verwenden wir die kommerzielle Software Thermo-Calc.
b) Elektrochemische Modellierung
Dieses Teilgebiet befasst sich hauptsächlich mit der Charakterisierung, Modellierung und Zustandsschätzung von Lithium-Ionen-Batterien. Im Vordergrund steht die Entwicklung Validierung elektrischer Ersatzschaltungen und 3D-Thermomodelle durch Labormessungen und bereitgestellte Daten. Ein wesentlicher Teil der Forschung betrifft die Entwicklung von Algorithmen zur SoX-Schätzung von Lithium-Ionen-Batterien, die in ein Batteriemanagementsystem (BMS) implementiert werden sollen. Die SoX-Schätzung umfasst den Ladeztustand(SoC), Gesundheitszustand(SoH) und Leistungszustand(SoP) der Lithium-Ionen-Batterien.
Gasanalyse
Unter Missbrauchsbedingungen kommt es bei Lithium-Ionen-Batterien zu einem exothermen Zustand, der mit einer Gasentwicklung einhergeht, die zu einem schwerwiegenden Zustand, dem so genannten thermischen Durchgehen, führen kann. Gasanalysetechniken werden zur Identifizierung und Quantifizierung der von den Batterien abgegebenen Gase eingesetzt. Gaschromatographie-Massenspektrometrie (GC-MS) und Online-MS sind gute Kandidaten für eine solche Analyse. Die Verbindung von MS mit GC in GC-MS bietet eine leistungsstarke Technik und wird bevorzugt für die Analyse kleiner und flüchtiger Moleküle eingesetzt, wobei die GC für eine gute Trennung der Gaskomponenten entscheidend ist und die MS für die Unterscheidung der Fragmentierungen in Abhängigkeit von der Molekularstruktur der Eingangsverbindungen verantwortlich ist. Außerdem ist die Online-MS eine Technik, die helfen kann, verschiedene Gasentwicklungsereignisse zu verstehen und zu unterscheiden, die in den Batterien nacheinander unter den Missbrauchsbedingungen auftreten.
Bei der Gasanalyse wird eine Mischung von Gasspezies festgestellt. Kombiniert man die Informationen über die entstandenen Gase mit der Kenntnis der Batteriestruktur, der Chemie und der Betriebsbedingungen (Temperatur, Ladezustand usw.), lassen sich die internen Reaktionen der Batterie verstehen und bewerten. So wird beispielsweise häufig berichtet, dass bei 100-120 °C in Li-Ionen-Batterien eine Zersetzung der Festelektrolyt-Grenzfläche (SEI) stattfindet, die zur Bildung von Ethylen (C2H4), Kohlendioxid (CO2) und Sauerstoff (O2) führt.
Durch die Kombination der Gasanalyse mit anderen Charakterisierungsmethoden wie SEM, XRD und ICP-OES können die Versagensmechanismen von Batterien unter missbräuchlichen Bedingungen (thermisch, elektrochemisch und mechanisch) weiter erforscht werden, was zur Verbesserung der Überwachung des Batteriezustands und zur Förderung des Designs für die Batteriesicherheit von Nutzen sein kann.